HSH Nordbank, Elbphilharmonie, Haushaltskrise, Gewaltkriminalität – ein zurücktretender Finanzsenator und ein Bürgermeister auf Abruf: SPD-Fraktion stellt Schwarz-Grün ein bescheidenes Zeugnis aus
SPD-Fraktionschef Michael Neumann hat dem schwarz-grünen Senat nach zwei Jahren im Amt ein bescheidenes Zeugnis ausgestellt. „Der erzwungene Rücktritt von Finanzsenator Freytag, die Personaldebatte innerhalb der CDU und die jüngsten politischen Erfolge der SPD sind bezeichnend für die Halbzeitbilanz von Schwarz-Grün“, sagte Neumann am Freitag. Wer von der neuen Farbkonstellation im Hamburger Rathaus einen Aufbruch erwartet hat, müsse sich getäuscht sehen. „Hamburg steht weitgehend still. Die zurückhaltende Bilanz von Senat und Koalitionsfraktionen unterstreicht das“, sagte Neumann.
Wenn Bürgermeister Ole von Beust (CDU) als „zentrale politische Erfolge von zwei Jahren Schwarz-Grün“ das Fahrradleihsystem und neue Naturschutzgebiete aufführt, bestätige das die Kritik der SPD-Opposition an der Arbeit des Senats, sagte Neumann. Die jüngsten Umfrageergebnisse zur politischen Stimmung in Hamburg, bei denen die CDU auf 31 Prozent abgesackt ist, wollte Neumann nicht überbewerten. Für ihn stehe aber fest: „Anders als in den vergangenen Jahren geht der Unmut über die Politik des Senats nicht mehr an der CDU und Herrn von Beust vorbei.“
Ob Rekordschulden, HSH Nordbank oder Kraftwerk Moorburg, ob Elbphilharmonie, Kostenexplosionen bei Großprojekten oder Streit um die Zukunft des Hafens: „Es knirscht im Senat, wenn es um politische Sachfragen geht. Darüber kann das demonstrativ-freundliche Klima zwischen CDU und GAL nicht hinwegtäuschen“, sagte Neumann. Es sei bemerkenswert, dass das wohl wichtigste Thema der Zeit, die Schulreform, erst Erfolgsaussichten bekommen habe, nachdem der Senat die Gesprächsangebote der SPD-Opposition nicht länger ausschlagen konnte.
Die Diskussion über die Kostensteigerung bei großen Bauprojekten sei Folge einer Politik, die zu lange auf schnell sichtbare Erfolge statt auf seriöse Planung gesetzt hat. Die Kosten der Elbphilharmonie würden derzeit auf 320 Millionen Euro geschätzt – statt der ursprünglich veranschlagten 77 Millionen Euro. Die U-Bahn in die HafenCity werde fast 330 Millionen Euro kosten statt 250 Millionen, die Ortsumgehung Finkenwerder nicht 36 Millionen sondern fast 100 Millionen. Der ZOB in Bergedorf – ein für den Stadtteil extrem wichtiges Projekt – werde mit 45 Millionen Euro doppelt so teuer, wie geplant. „Millionenschwere Mehrkosten, eine dramatische Überschuldung des Hamburger Haushalts und die Krise der HSH Nordbank: Wenn man in Hamburg sagt, dass die Konservativen nicht mit Geld umgehen können, wird man nicht mehr belächelt“, sagte Neumann.
Er kündigte eine Fortsetzung harter aber konstruktiver Oppositionsarbeit an. Die SPD werde – wie in der Vergangenheit etwa bei der Stabilisierung von HSH Nordbank und Hapag-Lloyd oder in Zusammenhang mit der Schulreform – dem Senat Unterstützung anbieten, wenn es dem Wohl Hamburgs dient. „Und wir werden auch in Zukunft den Finger in die Wunde legen, wenn es nötig ist“, sagte Neumann.
Er bezeichnete den laufenden Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Krise um die HSH Nordbank sowie die Ressorts Schulpolitik, Stadtentwicklung, Finanzen und Soziales als Schwerpunkte für den zweiten Teil der Legislaturperiode. „Wir bieten gleichzeitig weiter unsere Hilfe an. Denn auf Hamburg kommen – nicht zuletzt durch Finanz- und Wirtschaftskrise – große Herausforderungen zu. Und wir haben einen Senat, der schon überfordert ist, wenn der Winter mal anders ausfällt als sonst…“
Der SPD-Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss HSH Nordbank, Thomas Völsch, sieht den Rücktritt von Finanzsenator Freytag auch als Folge der Aufklärungsarbeit des PUA. Freytag habe sich mit seinen Handeln und seiner Kommunikation in Sachen HSH Nordbank in eine Sackgasse manöviert. So hatte der Senator die HSH Nordbank in einem Interview mit der WELT noch im Oktober 2008 als „im Kern gesund“ bezeichnet. Der PUA habe aber mittlerweile ermittelt, dass die Anteilseigner der HSH Nordbank bereits Ende 2007 über eine außerplanmäßige Kapitalerhöhung zur Stützung des in Schieflage geratenen Hauses beraten haben. Derartige Vorgänge hatten die Senatsvertreter später gegenüber der Bürgerschaft geleugnet. „Auch das ist ein Punkt, zu dem sich Herr Freytag als Zeuge vor dem PUA wird äußern müssen“, sagte Völsch. Der Rücktritt des Senators berge Chancen für eine weitere Aufklärung. „Denn möglicherweise muss der Bürger Freytag in seiner Vernehmung nicht die Rücksicht nehmen, die Bürgermeister und Senat vom Senator Freytag erwarten würden.“
Bemerkenswert sei auch, dass die Bank am Tag nach der Bürgerschaftswahl im Februar 2008 Probleme bestätigt habe und nur 11 Tage nach der Wahl die erwähnte Kapitalerhöhung beschlossen worden sei. „Diese Kapitalerhöhung hat die Stadt über 300 Millionen Euro gekostet“, sagte Völsch. „Herr Freytag war schon im letzten Bürgerschaftswahlkampf Finanzsenator und CDU-Landesvorsitzender. Ich habe den Verdacht, dass der CDU-Landesvorsitzende bestimmt hat, welche Information zu welchem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gekommen ist. Weiter sei zu klären, ob auch der Erste Bürgermeister bereits Ende 2007 oder Anfang 2008 über die Frage einer Kapitalerhöhung durch die Anteilseigner informiert war. „Vermerke der Beteiligungsverwaltung legen das sehr nahe“, so Völsch.
Freytag war von Februar 2007 bis Juli 2009 Mitglied im Aufsichtsrat der HSH Nordbank und ab März 2008 auch Mitglied des Präsidialausschusses, der an der Vertragsgestaltung mit dem neuen Vorstandchef Nonnenmacher im November 2008 maßgeblich beteiligt war. Neben Freytag sollen auch Mitarbeiter der Beteiligungsverwaltung der Finanzbehörde vernommen werden. Die vom Senat zur Verfügung gestellten Akten zeigen, dass diese Arbeitsebene die Lage der HSH Nordbank kontinuierlich begleitet und beobachtet hat und die Behördenspitze etwa über die Frage einer Kapitalerhöhung frühzeitig unterricht hat. Die genannten Personen waren offenbar auch in die Vorbereitung der Sitzungen des Aufsichtsrats eingebunden.
Neumann sagte, der schwarz-grüne Senat müsse sich auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode an seinen Versprechen und Ankündigungen messen lassen. Konkreter als der – naturgemäß – vergleichsweise offen formulierte Koalitionsvertrag zwischen CDU und GAL sei die Regierungserklärung des Ersten Bürgermeisters vom 17. April 2008. Zentralen Aussagen aus dieser Regierungserklärung stellte der SPD-Fraktionschef die Bewertung der SPD-Opposition gegenüber:
Aussage aus der Regierungserklärung (28. Mai 2008) zur Schulpolitik (I):
Von Beust: „Ich sage Ihnen: Diese Pläne, auf die wir uns geeinigt haben, sollen und werden endlich Schulfrieden schaffen.“
Tatsache:
Die ursprünglichen Pläne des schwarz-grünen Senats zur Einführung der Primarschule haben Hamburg keinen Schulfrieden gebracht. Sie haben Hamburg noch weiter weg vom Schulfrieden geführt. Der schwarz-grüne Schul-Unfrieden hat schließlich – mit dem Erfolg des Volksbegehrens „Wir wollen lernen“ – zu einem „Paukenschlag“ geführt. Nach diesem Paukenschlag ist Schwarz-Grün auf das SPD-Angebot eines überparteilichen Konsenses aus dem Jahr 2009 eingegangen. Jetzt gibt es einen vernünftigen Konsens in der Schulpolitik und damit die Chance auf einen lang anhaltenden Schulfrieden.
Aussage zur Schulpolitik (II):
Von Beust: „Deswegen werden wir auch in den Primarschulen die Klassenfrequenz auf 25 senken. Deswegen werden etwa 50 weitere Schulen zu gebundenen Ganztagsschulen ausgebaut; mit Schwerpunkt auf den Grundschulen in KESS 1 bis 3 Gebieten.“
Tatsache:
Die SPD hat in den Bildungsgesprächen mit CDU und GAL eine Klassenobergrenze von 23 in Primarschulen durchgesetzt, in Schulen mit sozialen Problemen von 19. Von den 50 versprochenen Ganztagschulen sind gerade mal 12 auf den Weg gebracht worden. Es ist fraglich, ob die restlichen 38 Ganztagsschulen in zwei Jahren eingerichtet werden können.
Aussage zur Hochschulpolitik:
Von Beust: „Es wurde lange, zum Teil Jahrzehnte, über Strukturen diskutiert. Im Mittelpunkt muss zukünftig auch hier die Qualität stehen. Hier haben wir in Hamburg Nachholbedarf.“
Tatsache:
Die vergangenen zwei Jahre waren in der Hamburger Hochschulpolitik verlorene zwei Jahre. Sie waren geprägt von Streit um Personal. Das betrifft die schließlich gescheiterte Uni-Präsidentin Prof. Monika Auweter-Kurtz wie ihren Nachfolger Prof. Dieter Lenzen. Dessen erste öffentliche Äußerungen – seine Ablehnung von Studiengebühren und seine kritische Haltung zum geplanten Umzug der Universität in den Hafen – erwecken nicht den Eindruck, es werde künftig ein entspanntes Verhältnis zwischen Leitung der Wissenschaftsbehörde und Leitung der Universität geben.
Die fast ständig umstrittene Wissenschaftssenatorin hat sich hauptsächlich mit ihrem persönlichen Prestigeprojekt – dem Plan zum Umzug der Universität in den Hafen – beschäftigt. Die notwendigen Schritte im Sinne einer Qualitätssteigerung in Forschung und insbesondere Lehre hat es nicht gegeben. Bezeichnend für den Zustand der Hamburger Hochschulpolitik ist die negative Bewertung der Hochschulsenatorin durch die Fachwelt. Bei einer Umfrage zur Bewertung der deutschen Hochschulressortleitungen, an der über 2200 Universitätsprofessoren teilgenommen hatten, war Gundelach auf dem letzten Platz gelandet.
Aussage zur Problematik Vernachlässigung von Kindern:
Von Beust: „Staat und Gesellschaft müssen eingreifen, wenn Kinder vor Vernachlässigung und Gewalt in der Familie geschützt werden müssen.“
Tatsache:
Schwarz-Grün hat Hamburg zum bundesweiten Schlusslicht bei den Vorsorgeuntersuchungen für Kinder gemacht (so genannte U-Untersuchungen). Nach jahrelanger Verweigerung der CDU, verbindliche Vorsorgeuntersuchungen einzuführen, soll es jetzt lediglich einen Modellversuch geben – beschränkt auf die Untersuchungen U 6 und U 7. Keines der anderen Bundesländer hat eine solche Beschränkung. In knapp einem Drittel der Hamburger Stadtteile geht jedes vierte oder sogar jedes dritte Kind nicht zur U-Untersuchung. Die Teilnahme bei Kindern mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit ist sogar noch gesunken. Eine spezielle Untersuchung nach dem Hamburger Kita-Gesetz hat Schwarz-Grün abgeschafft.
Aussage zur Kindertagesbetreuung:
Von Beust: „Die Kita ist ein zentraler Anknüpfungspunkt im Stadtteil für die Integration von Zuwanderern, Elternförderung, Kinderschutz, gesundes Aufwachsen und gesunde Ernährung bis hin zu Frühintervention bei Verhaltens- und Gewaltauffälligkeit. Daher haben wir zum Beispiel den Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung auf das zweite Lebensjahr herabgesetzt.“
Tatsache:
Den allgemeinen Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung bereits ab zwei Jahren hat der Senat bis heute nicht eingeführt. Vielmehr hat Schwarz-Grün diesen Rechtsanspruch im Rahmen der Sparmaßnahmen „bis 2013 zurückgestellt“. – 2013 liegt aber nicht mehr in Verantwortung dieses Senats.
Aussage zur Finanz- und Haushaltspolitik (I):
Von Beust: „Wir brauchen eine große Haushaltsdisziplin. Denn die Dinge, die wir als neue Prioritäten benannt haben, sollen ohne neue Schulden finanziert werden. Diese Koalition steht für eine nachhaltige Haushaltspolitik.“
Tatsache:
Die Neuverschuldung liegt auf Rekordniveau. Der Finanzsenator stolpert über seine Aussage, Hamburg habe einen „aus eigener Kraft ausgeglichenen Haushalt“. Die Kosten für große Bau- und Infrastrukturprojekte laufen aus dem Ruder. – „Der Senat wird jetzt Opfer seiner Politik: Er hat in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen nicht Schulden abgebaut oder Rücklagen gebildet. Er hat das Geld mit vollen Händen ausgegeben. Der Finanzsenator Freytag war zuletzt nur noch sein eigener politischer Konkursverwalter. Der Bürgermeister von Beust ist der König der Schuldenmacher.“
Aussage zur Finanz- und Haushaltspolitik (II):
Von Beust: „Der zu erarbeitende Haushaltsplan 2009 und 2010 wird zur Finanzierung neuer Prioritäten selbstverständlich Umschichtungen beinhalten. Und Umschichtungen bedeuten selbstverständlich auch Änderungen von Planungen und Verzicht auf Liebgewonnenes.“
Im Haushaltsplan-Entwurf 2009/2010 gibt es keinen „Verzicht auf Liebgewonnenes“ – Es gibt stattdessen Mehrausgaben – mit denen in CDU und GAL die Zustimmung zur Koalition erkauft werden soll.
Aussage zu Schwarz-Grün (I):
Von Beust: „Sage und schreibe 70 Prozent sprechen sich für Schwarz-Grün aus.“ (Bezug: ECHOLOT-Umfrage unter Führungskräften vom 5. Mai 2008)
Tatsache:
Zwei Jahre nach dem Start von Schwarz-Grün in Hamburg sind 69 Prozent mit der Arbeit des Senats weniger oder gar nicht zufrieden. (Umfrage von Infratest dimap für den NDR, veröffentlicht am 22. Februar 2010)
Aussage zu Schwarz-Grün (II):
Von Beust: „Ich bin überzeugt, dass diese für Deutschland neue Konstellation – nach erster Verwunderung, dem Reiz des Ungewohnten – schnell zur fachlich kompetenten Routine werden wird.“
Tatsache:
Neumann: „Stimmt. Wobei man über die Bewertung „fachlich kompetent“ streiten kann.“
Aussage zu Schwarz-Grün (III):
Von Beust: „Es geht nicht um uns, nicht um den Senat, nicht um das Parlament, nicht um die Parteien. Es geht um eine gute Zukunft für unsere Freie und Hansestadt Hamburg.“
Tatsache:
Neumann: „Der Senat bemüht sich. In wesentlichen Punkten geht es ihm aber offensichtlich primär darum, einen erträglichen Kompromiss zwischen den Koalitionsparteien zusammen zu zimmern.“ Das betreffe die Konfliktpunkte Kraftwerk Moorburg oder Innenpolitik. Andere Probleme sitze die Koalition aus, etwa die Differenzen um die Praxis bei der Entnahme von Blutproben. Andere packt sie erst an, wenn es nicht anders geht – etwa das Thema Hafenprivileg. Wo politische Erfolge fehlen, sollen Polit-Placebos die Koalitionäre beruhigen. Das gilt zum Beispiel für die Einrichtung der „Arbeitsstelle Vielfalt“ oder der Umbenennung der Justizbehörde.
Bei anderen Projekten, die bei der SPD auf Zustimmung stoßen, ist unklar, ob sie über die Planungs- und Startphase hinauskommen. Das gilt insbesondere für die von der SPD befürworteten politischen Vorhaben „Gründung von Stadtwerken“ und „Wiedereinführung der Stadtbahn“.
Neumanns Fazit: „Wer mit dem Arbeitsantritt der ersten schwarz-grünen Senats einen Aufbruch erwartet hat, sieht sich getäuscht. Tatsächlich wirkt der Senat wie gefangen in dem Zwang, mögliche Konflikte zwischen Koalitionspartnern verhindern zu müssen.“ Die Koalitionäre versuchten mit „abenteuerlichen Verrenkungen“ – wie bei der Diskussion über die Absage der Harley-Days – ihre gegensätzlichen Positionen zu einer gemeinsamen Linie zu entwickeln. „Aber wenn unvereinbare Positionen auf Krampf unter einen Deckel gebracht werden sollen, dann ist das Ergebnis Murks“, sagte Neumann.