„Wenn wir kein Auge darauf haben, ob die lokalen und regionalen Wahlen in unseren Mitgliedsstaaten rechtsstaatlich ablaufen und demokratische Mindeststandards einhalten, verlieren wir unsere Daseinsberechtigung.“ Mit diesen eindringlichen Worten wandte sich der Harburger Bürgerschaftsabgeordnete Sören Schumacher (SPD) an die rund 320 Delegierten, die zur 37. Plenarsitzung Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas vom 29. – 31. Oktober in Straßburg zusammengekommen waren. Schumacher ist seit Mitte 2015 Vertreter Hamburgs im Kongress des Europarates, der seinerseits etwa 820 Millionen Bürgerinnen und Bürger in den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates vertritt.
Anlass der Rede war der Bericht über die Beobachtung der Kommunalwahlen in der Türkei und der Wiederholung der Wahl des Bürgermeisters von Istanbul, die am 31. März beziehungsweise 23. Juni dieses Jahres stattgefunden haben. Zur Beobachtung der Kommunalwahlen waren 23 Mitglieder aus 20 Mitgliedsstaaten des Kongresses vom 27. März bis zum 1. April in der Türkei. Die Wiederholung der Bürgermeisterwahl wurde von einer vierzehnköpfigen Delegation aus 13 Mitgliedsstaaten beobachtet, die sich vom 20. bis 24. Juni dort aufhielt. Es war das erste Mal, dass die Wahlbeobachter des Kongresses eine derartige Mission in der Türkei durchgeführt haben.
„Der 24 Seiten umfassende Bericht der Kommission lässt leider keinen Zweifel daran, dass bei den Kommunalwahlen in der Türkei viele Voraussetzungen demokratischer Wahlen nicht durchgehend gegeben waren“, so Sören Schumacher. Dies betreffe sowohl den Wahlkampf als auch die Vorbereitung und die Durchführung der Wahlen sowie die Auszählung der Stimmen.
Der Bericht führt unter anderem an, dass es Zweifel an der Unabhängigkeit der Wahlbehörde gebe. Zudem sei das Beschwerde- und Einspruchsverfahren intransparent. Auch die Kandidatenregistrierung genüge demokratischen Standards nicht. „Offensichtlich ist es zu missbräuchlichen Einschränkungen der Wählbarkeit gekommen“, erläutert Sören Schumacher. „Das hat sowohl zu einer zahlenmäßigen Begrenzung aufzustellender Kandidaten geführt als auch dazu, dass Kandidaten bestimmter Partei sich überhaupt nicht aufstellen lassen konnten.“ Ebenso habe die Wählerregistrierung Anlass zu Besorgnis gegeben.
Breiten Raum gibt der Bericht den Themen Wahlkampf und Wahlkampffinanzierung. „Es gibt keine transparenten Wahlkampfbestimmungen. Von gleichen Chancen für alle Kandidaten kann daher kaum die Rede sein. Die Ungleichheit der Startbedingungen wird durch den beschränkten Zugang zu Medien, also zur Öffentlichkeit, weiter verstärkt“, so Schumacher. Da niemand so genau wisse, wem welche Privatmedien gehörten, vermute man wohl nicht zu Unrecht vielfach Zensur und Selbstzensur der Medien sowie Einflussnahme der Regierung auf Medien aller Art. Schumacher: „Die Folge ist klar: Die Bandbreite der präsentierten politischen Meinungen wird eingeschränkt.“ Was die Wahlkampffinanzierung betreffe, so sei Zweckentfremdung staatlicher Gelder – also Steuergelder – für Wahlkampfzwecke offenbar weit verbreitet. Auch die Parteienfinanzierung sei undurchschaubar. „Unter dem Strich“, so fasst Schumacher zusammen, „hat dies zur Konsequenz, dass es bei diesen Wahlen keine fairen und gleichen Bedingungen für alle gegeben hat.“
Entgegen internationaler Standards lässt die Türkei weder einheimische Wahlbeobachter noch solche internationaler Organisationen und Institutionen zu. Einzig das Beobachtungskomitee des Kongresses im Europarat hatte eine Genehmigung erhalten. Sören Schumacher ist nicht davon überzeugt, dass der Kongress auf diese Ausnahmestellung nur stolz sein sollte. Vielmehr könne es durchaus sein, dass die Abordnung nur zugelassen worden sei, weil der Kongress selbst als nicht ernst zu nehmend eingeordnet wurde. „Sollte diese Vermutung zutreffen“, so Schumacher, „würde der Bericht in seiner unmissverständlichen Klarheit verdeutlichen, dass es sich um eine grobe Fehleinschätzung handelt.“