In der letzten Oktober-Woche war ich in Straßburg. Am Sitz des Europarats trat der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats vom 25. bis 27. Oktober 2022 zu seiner 43. Sitzung zusammen. Am ersten Sitzungstag wurde der neue Generalsekretär des Kongresses gewählt. Diesen Posten wird Mathieu Mori ab Januar 2023 für fünf Jahre übernehmen. Der Franzose betonte in seiner Rede die aktuelle politische Lage in Europa, die sich seit den russischen Angriffen auf die Ukraine grundlegend geändert habe. Das Aufkommen eines neuen Imperialismus in Europa bedrohe die Ukraine und all unsere Demokratien existentiell. Für ein friedliches Europa sei es wichtig, den Dialog fortzusetzen. Mori verwies auf die Vielzahl an lokalen und regionalen Herausforderungen, denen sich die europäischen Gesellschaft ausgesetzt sieht und die in den Handlungsbereich des Kongress fallen. Eine noch effizientere Verwaltung sei nötig, um diese Themen zu bearbeiten. Mein Dank gilt dem scheidenden General-Sekretär Andreas Kiefer, der diese Aufgabe viele Jahre mit persönlichem Engagement ausgefüllt hat.
Acht Monate nach Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine waren die Entwicklungen und die Folgen, die sich daraus ergeben, weiterhin zentrales Thema im Kongress. Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko und der ukrainische Minister für die Entwicklung der Gemeinden und Territorien, Oleksiy Chernyshov, nahmen online an der Debatte des Kongresses teil. Ihre zentrale Aussage: „Wir verteidigen die Ukraine, aber wir verteidigen auch die europäischen demokratischen Werte“. In der Debatte verurteilten die zahlreichen Rednerinnen und Redner die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine und die Verbrechen gegen ukrainische Bürgerinnen und Bürger sowie Abgeordnete und die illegale Annexion von besetzten Gebieten. Der Kongresspräsident Leendert Verbeek erklärte, der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas sei weiterhin der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit der Ukraine in den international anerkannten Grenzen verpflichtet und dass sich die Ukraine und das ukrainische Volk weiterhin unserer Unterstützung sicher sein kann. Auch Peter Burke, Staatsminister Irlands für Planung und Lokale Regierung, betonte als Vertreter der irischen Präsidentschaft des Europarats in seiner Rede, dass beide Institutionen ihre Solidarität und Unterstützung mit der Ukraine zeigen. Die Bürgermeisterin von Dublin, Caroline Conway, zeigte auf, wie wichtig und auch kritisch die Rolle der lokalen und regionalen Behörden dabei sei, Führungsstärke in diesen unsicheren Zeiten zu zeigen, um diejenigen zu unterstützen, die vor dem Krieg und Elend fliehen, um den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität zu bekämpfen und um die Demokratie zu verteidigen.
Im Anschluss tauschten sich die Mitglieder des Kongresses über die Zukunft des Europarats und die Rolle des Kongresses der Gemeinden und Regionen aus. Dabei betonten sie die wichtige Rolle der lokalen und regionalen Politikerinnen und Politiker und der Behörden, die Politik vor Ort umsetzen.
Die Zahl der Geflüchteten, Asylsuchenden und Vertriebenen war weltweit 2022 so hoch wie noch nie, Frauen und Kinder sind besonderen Risiken und Gewalttätigkeiten ausgesetzt. Es wird geschätzt, dass Frauen und Kinder bis zu 90 Prozent der Ukrainer ausmachen, die ins Ausland geflüchtet sind. Dies sind Ergebnisse aus dem Bericht über die Aufnahme von geflüchteten Frauen und Kindern in den Städten und Regionen Europas. Es wurde deutlich, dass die Kapazitäten von großen Aufnahmeeinrichtungen begrenzt sind. Insbesondere die Besuche der Berichterstatter in Polen zeigten, welche Erfahrungen die polnischen Städte und Gemeinden bisher machten. Der Bericht zeigt Beispiele guter Praxis für lokale Behörden für die Unterbringung, Gesundheitsversorgung und Bildung auf. Um Frauen und Kinder auch langfristig zu schützen, ermutigt der Kongress die lokalen und regionalen Behörden mit den anderen Regierungsebenen und Zivilorganisationen zusammen zu arbeiten. Dabei sollen auch gendersensible und kinderfreundliche Aufnahmepolitiken entwickelt werden. Die Sonderbeauftragte des Generalsekretärs für Migration und Flüchtlinge, Leyla Kayacik, forderte, dass die lokalen und regionalen Behörden in Europa nicht allein gelassen werden, um den Schutz von geflüchteten Frauen und Kindern sicherzustellen. Der Kongress forderte die nationalen Regierungen auf, klare und transparente Finanzierungsmechanismen aufzubauen, so dass die lokalen und regionalen Akteure hochwertige Unterkünfte für geflüchtete Frauen und Kinder aufbauen können und auch um das Sammeln und Teilen von Daten zu ankommenden Geflüchteten zu erleichtern.
Mit der Zunahme des Klimawandels werden die Umweltherausforderungen immer mehr hinsichtlich der Menschenrechte betrachtet: das Recht auf Leben, Gesundheit oder Privat- und Familienleben und internationales Recht. Auch der Bericht „Ein Grundrecht auf Umwelt: eine Angelegenheit für lokale und regionale Behörden“ wurde im Kongress debattiert. Der Bericht ermutigt dazu, die Charta der kommunalen Selbstverwaltung auch auf Umweltaspekte hin zu lesen und das Behördenhandeln vor Ort auf die Umweltherausforderungen auszurichten. Der Bericht schlägt vor, ein Zusatzprotokoll zur Charta zu verabschieden, in dem sichergestellt werden soll, das die Rolle der lokalen und regionalen Behörden für die Umwelt anerkannt wird. Der Kongress forderte auch mehr Bürgerbeteiligung bei Umweltfragen, Kooperation zwischen Städten und zwischen Regionen und Umweltnetzwerken.
Auch dieses Mal verabschiedete der Kongress mehrere Monitoring-Berichte, in denen untersucht wird, in welchem Maßen die Anforderungen aus der Charta der kommunalen Selbstverwaltung in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Dänemark ist eines der am stärksten dezentralisierten Staaten und wurde von den Berichterstattern als Modell für andere Staaten gesehen. Dennoch forderten sie Dänemark auf, ein Zusatzprotokoll zu unterzeichnen. Auch die Monitoring-Berichte zu Belgien, der Tschechischen Republik und Schweden wurden angenommen. Wahlbeobachtungen fanden bei lokalen Wahlen in Serbien, Albanien und den Niederlanden statt, die entsprechenden Berichte wurden vom Kongress verabschiedet.
Die Entwicklung der digitalen Technologien in den vergangenen zwanzig Jahren hatte erhebliche Auswirkungen auf die lokalen und regionalen Behörden, sowohl was die Digitalisierung von Verwaltungen betrifft als auch die Zunahme von Hassrede und Fake News. Anwendungen, Apps, Sensoren, Software, Algorithmen, Plattformen und Kameras können die Verwaltung und das Management optimieren und so zu nachhaltigen und auf die Menschen ausgerichteten Städten und Regionen beitragen. Der Bericht zu “Smarten Städten und Regionen“ unterstreicht, wie wichtig es jedoch gleichermaßen ist sicherzustellen, dass die neuen Technologien und künstliche Intelligenz mit Menschenrechten, Demokratie und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen einhergehen. Die „Digital Divide“ müsse reduziert werden, persönliche Daten geschützt und die Cybersicherheit verbessert werden. Insbesondere die lokalen Behörden benötigen Unterstützung bei der Umsetzung.
In der Debatte zu „Hassrede und Fake News: Einfluss auf die Arbeitsbedingungen von lokalen und regionalen gewählten Vertretern“ wurde aufgezeigt, wie die neuen Technologien einen großen Beitrag zur Demokratie leisten. Jedoch können sie auch schaden, insbesondere in sozialen Netzwerken: Die toxischen Effekte von Hassrede und Fake News beeinflussen die Arbeitsbedingungen von lokalen und regionalen gewählten Vertretern. Im Bericht werden Instrumente und Strategien vorgestellt, um Hassrede und Fake News zu bekämpfen. Die Berichterstatter rufen in ihrem Bericht dazu auf, die Koordination zwischen den Institutionen zu stärken, gewählte Vertreter zu schulen und Richtlinien zur Vorbeugung von Desinformation und Hassrede zu entwickeln. Auf nationaler Ebene sollen umfassende Strategien entwickelt werden, die juristische Mittel, vorbeugende Maßnahmen und relevante Personen zusammenbringen. Es darf keine Straffreiheit für offline und online Bedrohungen oder Angriffe gegen Lokal- oder Regionalpolitiker geben!
Seit 2014 lädt der Kongress junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren ein, an den Kongress-Sitzungen teilzunehmen. Jede der 46 nationalen Delegationen nimmt einen jungen Menschen für ein Jahr in ihre Reihen auf. Auf der 43. Kongress-Sitzung präsentierten die Jugenddelegierten 21 Projekte, die sie im Rahmen ihrer Mandate durchgeführt haben. An den Projekten in ganz Europa nahmen 1.300 Teilnehmer teil. Die Projekte der Jugenddelegierten waren innovativ und zielen darauf ab, die Demokratie und Partizipation vor Ort zu stärken. Sie bringen Menschen zusammen und schaffen eine Öffentlichkeit für den Europarat und den viel weniger bekannten Kongress. Diese jungen Menschen engagieren sich politisch und in ihrem Umfeld. Dafür gehört ihnen unser Dank.
Die Bewerbungsphase für die nächsten Jugenddelegierten hat übrigens gerade begonnen. Falls Interesse besteht, stehe ich gern für Auskünfte zur Verfügung! Anmeldung.