Warum ich Ja zur GroKo sage

Dialogveranstaltung der SPD Marmstorf zum KoalitionsvertragIch habe mit Ja gestimmt. Die Überlegungen, die mich zu dieser Entscheidung gebracht haben, lassen sich unter drei Fragestellungen zusammenfassen. Diese sind: Was sind die Alternativen? Was ist das Beste für die SPD? Was ist das Beste für die Menschen in unserem Land?

Nachdem die FDP sich aus der Verantwortung gestohlen hat, nur noch am  Spielrand steht und von dort aus gute Ratschläge erteilt, entfällt die nach dem Wahlergebnis nächstliegende Option – die Jamaika-Koalition.

Warum nicht mal eine Minderheitenregierung? Dieser Lösung wurde eine Zeitlang in der öffentlichen Diskussion und innerhalb der SPD einige Sympathie entgegengebracht. Dahinter stand die Hoffnung auf eine Belebung der politischen Diskussion innerhalb und außerhalb des Parlaments, auf ‚echte‘ Debatten und transparentere Entscheidungsfindungen. Mittlerweile, so scheint mir, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Minderheitenregierung vor allem bedeuten würde: Instabilität und Verzicht auf große politische Vorhaben. Bei der ständigen Suche nach Tolerierungspartnern würde es politisch nur noch Klein-Klein geben, im ungünstigsten Fall käme es gar zu einander widersprechenden parlamentarischen Entscheidungen. Überdies bestände die Gefahr, bei manchen Abstimmungen auf eine Tolerierung durch extremistische Kräfte angewiesen zu sein und diesen dadurch eine große Bühne zu geben und sie ‚hoffähig‘ zu machen.

Auf kommunaler und in kleineren Ländern mag eine Minderheitenregierung übergangsweise möglich sein. In einem Land von der Bedeutung der Bundesrepublik mit 82 Millionen Einwohnern halte ich sie für weder praktikabel noch verantwortbar. Dies gilt umso mehr in der derzeit äußerst schwierigen weltpolitischen Lage und angesichts der großen Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht.

Die mit Abstand schlechteste Lösung wäre eine von der SPD geduldete Minderheitenregierung. Damit würden die Sozialdemokraten sich gleich zwei Nachteile einhandeln: Sie könnten weder Politik gestalten, noch klar in der Opposition sein. Wer kann so etwas ernsthaft wollen?

Dialogveranstaltung der SPD Marmstorf zum Koalitionsvertrag
Also Neuwahlen? Auch das scheint mir kein sinnvoller Weg zu sein. Zum einen würden sie höchstwahrscheinlich kein für die Politik einfacheres Ergebnis erbringen. Zum anderen würden momentan vielleicht extremistische Kräfte weiter an Boden gewinnen. Hinzukommt, dass die Wählerinnen und Wähler wenig Neigung zu Neuwahlen zeigen, sondern zu Recht erwarten, dass die Verantwortlichen es schaffen, die ihnen durch die Wahl vom September letzten Jahres gestellte Aufgabe zu lösen. Und auf unsere Partei bezogen, muss man ehrlich und offen sagen: Einen schlechteren Zeitpunkt für Neuwahlen als den derzeitigen vermag man sich kaum vorzustellen.

Damit komme ich zur zweiten Frage: Was ist das Beste für die SPD? Unsere Partei stand schon vor der Bundestagswahl 2017 nicht eben glänzend da. Seitdem sind wir in der Gunst und im Ansehen der Wählerinnen und Wähler noch weiter abgesackt – auf ein historisches Tief. Ich maße mir nicht an, diesen Prozess umfassend erklären zu können. Klar scheint mir aber, dass uns das Hin und Her über die Frage ‚Regierungsbeteiligung oder nicht oder vielleicht doch oder…‘ ebenso geschadet hat wie Personalquerelen, die öffentlich ausgetragenen Rangeleien um Posten und die zutage getretenen Animositäten.

Dialogveranstaltung der SPD Marmstorf zum KoalitionsvertragVor allem aber ist es der SPD in den vergangenen rund sechzehn Jahren Regierungsbeteiligung in Großen Koalitionen nicht gelungen, ihre Leistungen für die Menschen in Deutschland erkennbar darzustellen. Ich bin mir sicher, dass es viele Wählerinnen und Wähler gibt, die die SPD in den vergangenen Jahren gar nicht als Regierungspartei wahrgenommen haben. Die Wahrnehmbarkeit der SPD zu erhöhen, indem sie als kraftvolle Opposition klare Alternativen zur Regierungspolitik aufzeigt und so an Profil gewinnt, könnte eine Idee sein. Unter den gegebenen, oben skizzierten Umständen meiner Überzeugung nach allerdings nicht angezeigt. Daher bleibt uns nur eine Option: Wir müssen in einer künftigen Großen Koalition als Sozialdemokraten unübersehbar werden. Das wird uns nur glücken, wenn wir es schaffen, das Leben der Menschen in unserem Lande real zu verbessern und zugleich zu verdeutlichen, wem die Urheberschaft für diese Verbesserungen zukommt: der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Wir werden uns nicht ängstlich wegducken, sondern zeigen, was wir können. Etwas Besseres können wir für die deutsche Sozialdemokratie nicht tun!

Damit komme ich zur dritten und mit Abstand wichtigsten Frage: Was ist angesichts des schwierigen Wahlergebnisse das Beste für die Menschen in unserem Land? Unsere Verfassung ist so gestaltet, dass Koalitionen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Sie zwingt die politischen Akteure damit zum Kompromiss. Der Kompromiss ist geradezu das Wesen unserer Demokratie. So ist auch ein Koalitionsvertrag immer aus Kompromissen hervorgegangen, auf Kompromisse angewiesen. Dies vorausgeschickt, können wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit den Ergebnissen sehr zufrieden sein. Wir haben vieles durchsetzen können, was zu realen Lebensverbesserungen in Deutschland führen wird. Hier nur einige Beispiele:

  • Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden gleich viel in die Krankenkasse einzahlen.
  • Das unbefristete Arbeitsverhältnis wird wieder zur Regel. Sachgrundlose Befristungen werden drastisch eingeschränkt und und endlose Kettenbefristungen abgeschafft.
  • Wegfall des Soli für Beschäftigte mit kleinen und mittleren Einkommen. Dadurch werden 90 Prozent aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlastet.
  • Zusammenarbeit von Bund und Ländern zur Verbesserung der Bildung. Wir werden das Grundgesetz ändern, damit der Bund wieder in Schulen investieren kann und Bund und Länder künftig enger zusammenarbeiten dürfen. So kann der Bund die Länder endlich finanziell dabei unterstützen, Schulen zu sanieren, sie ins digitale Zeitalter zu führen, Ganztagsbetreuung auszubauen und Kitagebühren abzuschaffen.
  • Das Kindergeld steigt um 300 Euro pro Jahr pro Kind. Erhöhung des Kinderzuschlags für einkommensschwache Familien, besonders auch für Alleinerziehende.
  • Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter.
  • Mehr Pflegekräfte zur besseren Versorgung Pflegebedürftiger und Entlastung der Angehörigen. Bessere Bezahlung von Pflegerinnen und Pfleger.
  • Auf das Einkommen von Kindern pflegebedürftiger Eltern wird erst ab einem Haushaltseinkommen von 100.000€/Jahr zurückgegriffen.
  • Mindestvergütung für Auszubildende. Die Ausstattung der Berufsschulen wird verbessert.
  • Erhöhung des BAföG; Studentischer Wohnraum und Wohnheimplätze werden gefördert.
  • Anhebung des gesetzlich garantierten Rentenniveaus auf 48 Prozent, d.h. Sicherung auf dem heutigen Stand. Begrenzung der Beiträge auf 20 Prozent. Verbesserung der Erwerbsminderungsrente. Einführung einer Grundrente, die 10 Prozent über der Grundsicherung liegt. Diese Verbesserungen gelten nicht nur für zukünftige, sondern auch für die heutigen Rentnerinnen und Rentner.
  • Verbesserung der Leistungen für gesetzlich Versicherte durch schnellere Terminvergabe und mehr Sprechstundenzeiten bei Vertragsärztinnen und -ärzten. Erhöhung der Zuschüsse für Zahnersatz.
  • 2 Milliarden Euro zusätzlich für den sozialen Wohnungsbau. 1,5 Millionen neue Wohnungen, damit Wohnen bezahlbar bleibt. Die Möglichkeit, Modernisierungskosten auf die Miete umzulegen, wird weiter eingeschränkt.
  • 17.000 zusätzliche Stellen bei den Sicherheitsbehörden und der Justiz in Bund und Ländern.
  • Härteres Vorgehen gegen Wirtschaftskriminalität.
  • Klimaschutz voran. Der Ausbau erneuerbarer Energien wird noch schneller vorangetrieben. Der Anteil erneuerbarer Energien soll bis 2030 auf 65 Prozent steigen.
  • Beendigung der Anwendung von Glyphosat und Verbot grüner Gentechnik.
  • Gemeinsam mit Frankreich wird Deutschland Verantwortung übernehmen und für soziale Mindeststandards und eine gerechte Besteuerung von Unternehmen in ganz Europa sorgen.

Ich bin überzeugt, dass der vorliegende Koalitionsvertrag ein gutes Verhandlungsergebnis ist, das es der SPD ermöglichen wird, Teile ihrer Vorstellungen zum Wohle aller zu realisieren. Deshalb habe ich Ja gesagt.