Der Kongress der Gemeinden und Regionen trat vom 22. bis 24. März 2022 in Straßburg, Frankreich, zusammen. Viele Mitglieder des Kongresses nutzen die Möglichkeit, digital teilzunehmen. Dies ist ein Zeichen, wie die Corona-Pandemie auch weiterhin unseren Alltag und die politische Arbeit beeinflusst. Dennoch prägte der Krieg in der Ukraine diese Sitzung wie kein anderes Thema. Die Kongress-Sitzung fand erstmals seit 1996 ohne die russische Delegation statt, da kurz zuvor Russland aus dem Europarat ausgeschlossen wurde.
Der ukrainische Minister für die Entwicklung der Gemeinden und Territorien, Oleksiy Chernyshov, hielt eine beeindruckende Rede. Er wies darauf hin, dass der Druck auf Russland durch weitere Sanktionen, aber auch durch einen intensivierten Kampf gegen Fake News erhöht werden müsse. Der Minister sagte, er glaube, dass das Streben der Gemeinden und Regionen danach, ein demokratisches Europa zu errichten, dem Krieg in der Ukraine ein Ende bereiten könne. Die Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, und von Mykolaiv, Oleksandr Senkevych, betonten gemeinsam, wie wichtig es sei, nicht nur die Ukraine zu verteidigen, sondern auch die demokratischen Werte Europas.
Leendert Verbeek, Kongresspräsident, sagte in seiner Eröffnungsrede, dass der Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine ein Angriff auf die Prinzipien und Werte von Demokratie, Menschenrechten und des Rechtsstaats seien, für die der Europarat steht, sie fördert und verteidigt. Diese neue Realität habe zum Gegenteil von dem geführt, was der Aggressor beabsichtigte: Sie habe uns alle vereint. Verbeek wies auf die Rolle der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, der gewählten lokalen und regionalen Abgeordneten und Verwaltungsmitarbeiter hin, die dafür verantwortlich seien, in den betroffenen Gebieten für Sicherheit zu sorgen und die Erbringung von grundlegenden Dienstleistungen sicherzustellen. Er appellierte an die russische Führung, diesen schrecklichen Krieg zu beenden und durch einen neuen Eisernen Vorhang Europa nicht wieder auf Dauer zu teilen.
Der Kongress diskutierte über die Verluste menschlichen Lebens und die Zerstörung, die zu einer nie dagewesenen Zahl von Flüchtlingen in Europa führte. Der Kongress rief in seiner einstimmig angenommenen Erklärung Russland auf, sofort und ohne jegliche Bedingungen den Krieg zu beenden und humanitäre Korridore für die sichere Evakuierung von Zivilisten zu ermöglichen und seinen Verpflichtungen, die sich aus dem internationalen Recht und den internationalen Menschenrechten ableiten, nachzukommen. Der Kongress sprach auch der ukrainischen Bevölkerung seine Unterstützung und Solidarität aus.
Ich habe bisher noch keine so emotional bewegende Debatte im politischen Kontext erlebt. Die Schilderungen der Menschen vor Ort und das gemeinsame Verständnis für die politische und strategische Bedeutung für die Zukunft Europas und der Weltsicherheit prägten diese Debatte.
Der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Tiny Kox, begrüßte die Erklärung des Kongresses zum Krieg gegen die Ukraine. Er wies darauf hin, dass russische Bürgerinnen und Bürger nach dem Austritt Russlands aus dem Europarat nun nicht mehr unter dem Schutz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stehen und dass jetzt die Verteidiger von Menschenrechten, demokratische Kräfte, freie Presse und die unabhängige Zivilgesellschaft in Russland unterstützt werden müssen. Auch er betonte, dass Demokratie auf der lokalen und regionalen Ebene beginnt.
Auf der Tagesordnung standen auch die Berichte über Wahlbeobachtungen in Armenien, Georgien, Dänemark, und Marokko und die Monitoring-Berichte für Deutschland, Luxemburg, die Türkei und das Vereinigte Königreich. Die Berichterstatter stellten die Berichte vor. Die zuständigen Ministerinnen und Minister der begutachteten Staaten waren auch zu den Debatten eingeladen.
Dieses Mal war es für mich ein klein wenig aufregender als sonst, weil diese Überprüfung 2021 in Deutschland stattfand und ich als Leiter der deutschen Delegation eine koordinierende Rolle inne hatte. Konstantinos Koukas (Griechenland) und Jani Kokko (Finnland) verwiesen in ihrem Bericht auf die hohen Standards der lokalen Demokratie und den durchdachten rechtlichen Rahmen, der alle Aspekte der lokalen Selbstverwaltung in Deutschland berücksichtigt. Im Mai 2021 war eine Delegation für die Erstellung des Monitoring-Berichts nach Deutschland gekommen. Der umfassende, sehr detaillierter und positive Bericht bescheinigt Deutschland, die Anforderungen in vielen Aspekten vollständig, zumindest aber in großem Umfang zu erfüllen. Der Monitoring-Bericht wurde einstimmig durch den Kongress angenommen.
Durch das regelmäßige Monitoring in allen Staaten wird sichtbar, was bisher gut umgesetzt wird, aber auch an welchen Stellen noch Handlungsbedarf besteht. Es ist ein hervorragendes System, weil es einen unabhängigen Blick von außen braucht, um Veränderung anzustoßen. Die deutsche Delegation hatte die Anmerkungen im Bericht zum Anlass genommen, um Veränderung anzustoßen. Der deutschen Delegation im Kongress wurde der Monitoring-Bericht zur Stellungnahme vorgelegt. Er weist an verschiedenen Stellen darauf hin, dass Deutschland bisher das Zusatzprotokoll 107 hinsichtlich des Rechts an den Angelegenheiten der lokalen Behörden teilzuhaben, nicht ratifiziert hat, weil zwei Bundesländer dies nicht unterstützten. Als Delegationsleiter habe ich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer und die Innenministerin angeschrieben und darum gebeten zu überprüfen, ob nun alle Bundesländer der Ratifizierung zustimmen können. Ohne den Monitoring-Bericht hätten wir diesen Prozess nicht in Gang gesetzt.
„Kinder in die nachhaltige Entwicklung in ihren Städten einbeziehen“ und „Ländliche Jugend und die Rolle von lokalen und regionalen Akteuren“ waren zwei Debatten, die sich auf die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft konzentrieren. In der Debatte zum ersten Thema wurden Richtlinien betrachtet, auf welchen Wegen die Aufmerksamkeit von Kindern auf die nachhaltige Entwicklung und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen gerichtet werden kann. Der Kongress hat unter dem Titel “How to make your town a better place” ein Heft veröffentlicht, um 6- bis 11-jährige durch konkrete Beispiele darin zu bestärken, sich bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in ihrer Gemeinde einzubringen.
In der Debatte zur ländlichen Jugend wurde auf die besonderen geografischen Herausforderungen eingegangen, die die Jugend in ländlichen Gebieten betreffen. Der dazugehörige Bericht ruft dazu auf, in der lokalen und regionalen Politik auf diese Herausforderungen einzugehen. Die Jugendbeteiligung solle gefördert werden, insbesondere bei benachteiligten Gruppen und von Minderheiten.
Seit 2014, dem Beginn der Initiative des Kongresses „Rejuvenating Politics“ („die Politik verjüngen)“, nehmen Jugenddelegierte aus allen Mitgliedsstaaten an den Kongress-Sitzungen teil. In der Debatte zur ländlichen Jugend beteiligten sich die Jugenddelegierten besonders aktiv. Sie teilten ihre Erfahrungen, auf dem Land groß zu werden. Die Jugenddelegierte aus Norwegen beispielsweise zeigte die Herausforderungen bei Transport, Bildung, Beschäftigung und Gesundheit auf, denen die Jugend gegenübersteht, wenn sie auf dem Land bleibt. Auch der deutsche Jugenddelegierte Marius Wallstein beeindruckte durch seine Beiträge.
In der lokalen Kammer wurde ein Bericht zu „Fake News, Bedrohungen und Gewalt – Druck auf Bürgermeister in der aktuellen Krise in Europa“ vorgestellt, der vom Governance-Ausschuss erstellt worden war. Basierend auf den Erfahrungen von lokalen und regionalen Politikern in den Mitgliedsstaaten wurde das tatsächliche Ausmaß dieses Phänomens erfasst und Instrumente und Strategien wurden diskutiert, mit denen Hassrede und Fake News bekämpft werden können. Der Kongress hatte ein Forschungsprojekt unterstützt, dessen Bericht nun unter dem Titel „Counterfake – Eine wissenschaftliche Basis für eine Politik gegen Fake News und Hassrede“ nun vorliegt.